Ich denke jeder Reiter wünscht sich ein entspanntes Pferd, das nicht gleich bei jedem Rascheln im Gebüsch und jedem Spaziergänger mit Regenschirm in die Luft geht. Bringt ein Pferd diese Eigenschaft nicht von Haus aus mit, ist häufig Training zur Desensibilisierung angesagt. Doch was bedeutet Desensibilisierung überhaupt und ist es unbedingt immer gut ein Pferd zu desensibilisieren?
Natürlich ist es nicht angenehm, wenn sich ein Pferd ständig erschreckt und sehr sensibel auf seine Umwelt reagiert. Mal ganz davon abgesehen, dass dieser Charakterzug auf Dauer sehr nervig sein kann, ist es auch ein Aspekt der Sicherheit dem Pferd die Nervosität und die Angst vor den normalen Dingen in seiner Umgebung zu nehmen. Schließlich kann es ganz schön gefährlich werden, wen ein Tier von rund 500 kg Körpergewicht wegen einer Kleinigkeit wie einer Plastiktüte in unberechenbare Panik ausbricht. Hier ist eine Desensibilisierung auf jeden Fall angebracht.
Doch betrachten wir das Ganze nun einmal von einer anderen Seite. Neben der Eigenschaft, dass es nicht bei jeder Kleinigkeit in Panik und Nervosität ausbricht, wünschen sich die meisten Reiter noch etwas anderes von ihrem Pferd: Sensibilität. Sie möchten ein sensibles Pferd, das ohne großen Kraft- und Energieaufwand auf feine Hilfen und Signale des Reiters reagiert.
Leider stehen diese beiden Anforderungen erstmal in einem krassen Gegensatz zueinander. Zum einen soll das Pferd nicht auf große, laute und sich wild bewegende Dinge seiner Umgebung reagieren. Zum anderen soll es kleinste Zeichen des Menschen wahrnehmen und diesen Folge leisten.
Wie soll das gehen?
Desensibilisierung – ja, aber richtig!
Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass sehr nervöse und auf ihre Umwelt sensible Pferde desensibilisiert werden sollten. Doch dabei kommt es auf das Wie an! Leider sehe ich immer wieder, dass Desensibilisierung mit Abstufung gleichgesetzt wird. Das sollte es aber auf keinen Fall. Denn was bringt es, ein Pferd zu haben, neben dem zwar eine Bombe explodieren kann ohne, dass es einen Muskel bewegt, das aber genau so wenig auf meine Hilfen reagiert. Insbesondere, wenn das Pferd nicht nicht auf die Bombe reagiert, weil sie ihm nichts tatsächlich ausmacht, sondern weil es einfach gelernt hat, solche Reize starr auszuhalten. Schließlich möchte kein Reiter gertewedelnd hinter seinem Pferd herrennen müssen um es zu einer Vorwärtsbewegung zu überreden.
Aus diesem Grund ist es wichtig die Desensibilisierung so zu erarbeiten, dass das Pferd den Unterschied zwischen einem es betreffenden Reiz, also einer Hilfe, und einem es nicht betreffenden Reiz zu unterscheiden und entsprechend zu reagieren. Außerdem ist es mir wichtig, dass ein Pferd nicht nur deshalb (äußerlich) ruhig bleibt, weil es gelernt hat sich in Schrecksituationen eben so zu verhalten, sondern weil es wirklich seine Angst vor einem Gegenstand oder Geräusch verloren hat.
Neugierde statt FluchtreflexIch liebe es, wenn Pferde neugierig sind! Neugierde zeigt mir, dass sich ein Pferd in einer Situation wohlfühlt. Sie zeigt mir, dass das Pferd selbstbewusst ist und – wenn ich dabei bin – dass es mir vertraut. Außerdem ist Neugierde für mich ein Zeichen von Intelligenz und Lernwille.
Doch sind nicht alle Pferde von Natur aus neugierig. Das ist auch gut so, denn sonst hätte die Spezies Pferd wohl kaum bis heute überlebt. Die Skeptiker unter den Pferden sind es, die Gefahren früh wahrnehmen und so in der freien Wildbahn für ihre eigene und die Sicherheit ihrer Herde sorgen.
Da in der heutigen Zeit und gerade in unserem Umfeld Begegnungen mit Bären, Wölfen und Tigern aber doch eher selten sind, sind es gerade die Skeptiker die durch ihre Nervosität und Sensibilität häufig negativ auffallen und leider auch oft für gefährliche Situationen sorgen.
Wie bringe ich also einem solchen Pferd bei die enorme Sensibilität gegenüber der Außenwelt abzulegen? Oft werden solche Pferde in für sie unangenehme Situationen gebracht, ihnen dann hier die Fluchtmöglichkeit verweigert und letztendlich ihr resigniertes Aufgeben (= Stillhalten) belohnt. Geben sie nicht auf und versuchen sich ihre Flucht zu erkämpfen, gelten sie schnell als gefährliche Problempferde. Tut es dies aber, lernt das Tier sich seinem Schicksal zu ergeben und auf vermeintlich bedrohliche Situationen mit Stillstehen zu reagieren. Das funktioniert zwar bei den meisten Pferden bis zu einem gewissen Punkt, ist aber kein Weg den ich einschlagen würde. Mir ist es wichtig einen selbstbewussten, selbstständig denkenden Partner in meinem Pferd zu haben und keinen resignierten Soldaten. Auch wenn dies oft bedeutet einen längeren und anfangs für mich anstrengenderen Weg einzuschlagen.
Hat ein Pferd vor etwas oder einer Situation Angst, bemühe ich mich ebenfalls es damit zu konfrontieren. Doch verhindere ich nicht seine Flucht, sondern nähere mich dem Objekt bzw. der Situation nur so weit, dass es diese gerade noch ertragen kann ohne wirklich Angst zu haben. Ich nehme hier einfach mal ein lustig rot-weiß-gestreiftes Verkehrsschild als Beispiel, da dies das letzte „Problem“ war, das ich mit Bella hatte. – Nebenbei erwähnt, Bella ist ein Musterbeispiel der Skeptikerfraktion ;)
Ich nähere mich dem Schild nun mit dem Pferd so weit, wie es freiwillig mitkommt. Es wird das Schild nicht aus den Augen lassen, schließlich ist es für das Pferd eine Gefahrenquelle. Nun gebe ich dem Pferd an diesem Punkt eine Pause und warte so lange bis es sich etwas entspannt. Tut es dies, lobe ich es und führe es wieder vom Schild weg, damit die Entspannung für das Pferd zu etwas Positivem – der Entfernung aus der „Gefahrenzone – führt. Nach einer weiteren kurzen Pause nähern wir uns dem Schuld wieder auf die gleiche Weise. Vielleicht kommt es nun schon von selbst ein bisschen näher an das Schild heran. In diesem Fall warte ich wieder auf ein Zeichen der Entspannung, lobe es und gehe wieder auf Abstand. Traut es sich nicht von selbst näher ans Schild, warte ich wieder bis sich das Pferd etwas entspannt und bitte es dann freundlich einen Schritt näher zu kommen. Tut es dies nicht, frage ich immer wieder in kleinen Abständen bis es sich etwas auf das Schild zubewegt. Beim kleinsten Schritt wird das Pferd gelobt und darf sich wieder vom Schild entfernen. Wichtig ist hierbei immer ruhig und freundlich zu bleiben und keinen Ärger oder Stress aufkommen zu lassen. Die Konfrontation mit dem Monster-Schild ist für das Pferd schon stressig genug.
Die Übung wiederhole ich solange, bis ich mit dem Pferd direkt am Schild stehe.
Der letzte Schritt der Desensibilisierung ist für mich das Touch-It-Game am Schild, bei dem das Pferd dieses mit der Nase berührt.
Auf diese Weise lernt das Pferd nun nach und nach sich mit gruseligen Dingen und Situationen auseinanderzusetzen, anstatt direkt die Flucht zu ergreifen. Bei Pferden die diese Vorgehensweise schon länger kennen und ihrem Menschen vertrauen, reicht irgendwann das Touch-It um sie mit neuen Gegenständen vertraut zu machen.
#HowTo Targettraining - So lernt Dein Pferd das Touch-It Game
Feine Hilfen trotz Desensibilisierung – Dein Fokus ist der SchlüsselDafür dass Dein Pferd unbedachtes Herumgestikulieren Deinerseits (schau zu dem Thema auch mal bei der
Pferdeflüsterei
vorbei) oder eine raschelnde Plasiktüte von einer Hilfe unterscheiden kann und entsprechend reagiert, bist Du verantwortlich. Der Unterschied zwischen beidem ist Dein Fokus. Während Du Dich beim Herumgestikulieren z.B. auf einen Gesprächspartner konzentrierst, fokussierst Du bei der Hilfengebung Dein Pferd. Dies sollte Dir bewusst sein und gerade bei der Hilfengebung sollte Deine Konzentration ganz bewusst auf Deinem Pferd liegen. Wenn Du Deinem Pferd eine Hilfe oder ein Kommando gibst, erwartest Du von ihm, dass es aufmerksam genug ist um diese wahrzunehmen. Daher musst auch Du ihm mit der entsprechenden Aufmerksamkeit widmen. Schließlich fühlst Du Dich auch nicht unbedingt angesprochen, wenn jemand beim Reden mit etwas oder jemand ganz anderem beschäftigt ist.
Weitere Infos zum Thema feine Hilfengebung findest Du übrigens auch im meinem Artikel
Weniger ist mehr.