Natural Horsemanship und klassische Dressur sind zwei Sparten der Reiterei, die auf den ersten Blick so nicht viel miteinander gemeinsam haben. Mit Natural Horsemanship werden von Außenstehenden häufig Bodenarbeit, Cowboys, Westernreiterei, Herumgewedel mit einem orangenen Stick und freilaufende Pferde assoziiert. Klassische Dressur ruft hingegen das Bild von Turnierplätzen, Frack und Zylinder, Kandaren und auch Rollkur in den Köpfen der Menschen hervor. Ich habe den Eindruck, dass beide Seiten aktuell leider nur das Negative, die schwarzen Schafe, der jeweils anderen Seite wahrnehmen oder diese überhaupt nicht beachten. Was von beidem schlimmer ist, kann ich nur schwer sagen.
Ich selbst komme aus der reinsten Freizeitreiterei. Wenn ich wählen müsste, würde ich mich eher in die Sparte Natural Horsemanship eingliedern. Ich kenne die Techniken zwar erst seit einigen Jahren, Natural Horsemanship drückt aber das aus, was ich mir schon immer im Umgang mit Pferden gewünscht habe. Der klassischen Dressur stand ich hingegen lange extrem kritisch gegenüber. Darauf werde ich unten aber noch näher eingehen.
Erst möchte ich auf die positiven Aspekte eingehen, die sowohl das Natural Horsemanship als auch die klassische Dressur in meinen Augen zu einer Bereicherung in der Arbeit mit Pferden machen.
Wie oben schon angedeutet, stand ich der klassischen Dressur – oder besser gesagt der klassischen Reiterei allgemein – lange skeptisch gegenüber. Jetzt im Nachhinein ist mir klar, dass dies nicht an der Methode an sich, sondern vor allem an den vielen schwarzen Schafen die sich leider hier finden, lag.
Auch meine Erfahrungen mit Reitschulen haben nicht gerade zu einem positiven Bild der klassischen Reiterei beigetragen: Zusammen geschnürte, in Boxen eingesperrte Pferde, die mit Gerten geschlagen und mit Sporen getriezt wurden, wenn sie nicht so spurten wie sie sollen. Diese Erfahrungen aus meiner Kindheit und Jugend in Kombination mit Bildern von in Rollkur „gerittenen“ Pferden, die mit aufgerissenen Augen und Mäulern ihre Runden drehen, ließen mich mich für Jahre komplett von dieser Sparte der Reiterei distanzieren.
Das ich trotzdem angefangen habe mich mit der Dressurreiterei zu beschäftigen, habe ich Bella zu verdanken. Bevor ich sie bekam, habe ich mir bei meiner Wald- und Wiesenreiterei ehrlich gesagt kaum Gedanken darüber gemacht, wie ich mein Pferd reite. Die meiste Zeit habe ich nicht darauf geachtet, wie die Körperhaltung meines Pferdes beim Reiten war und bin einfach nur am hingegebenen Zügel durch die Gegend gedingelt.
Natural Horsemanship fasziniert mich eigentlich schon, seit ich ein kleines Mädchen war. Damals hatte ich ein Buch von GaWaNi Pony Boy und auch die Geschichte vom Pferdeflüsterer habe ich geliebt. Natürlich habe ich damals noch nicht verstanden was hinter dieser „Pferdeflüsterei“ steckt. Niemals hätte ich gedacht, dass ich selbst einmal in der Lage sein könnte, auf diese Weise mit Pferden kommunizieren und eine Verbindung aufbauen zu können.
Heute weiß ich, dass es eigentlich ganz einfach ist. Das ist auch das, was mich am Natural Horsemanship so begeistert. Wenn man sich nur ein wenig mit der Psyche der Pferde und den Methoden diese anzusprechen auseinander setzt, braucht es nur etwas Übung damit es klappt. Jeder kann es lernen! Hat ein Mensch es erst einmal geschafft, das Pferd davon zu überzeugen ihm zu zuhören und mit ihm zusammen zu arbeiten, gibt es nichts was Pferd und Mensch als Team nicht erreichen können.
An unserem bisher größten Erfolg auf der Basis des Natural Horsemanship kann ich mich beinahe jeden Tag freuen:
Als Bella zu mir kam, war sie Menschen gegenüber sehr misstrauisch und dominant. Allgemein war sie sehr skeptisch, hatte vor allem Angst und wollte oft panisch die Flucht ergreifen. Oft ist sie regelrecht ausgeflippt, wenn sie von den anderen Pferden weg sollte. Sie hat mehr als einmal versucht mir gegenüber mit Schlagen, Beißen und Steigen die Oberhand zu gewinnen. Heute ist sie zwar immer noch ein Sensibelchen was unbekannte Dinge und Situationen angeht, doch sucht sie in solchen Fällen mittlerweile eher meine Nähe, anstatt davon zu stürmen. Sie folgt mir frei, ohne Halfter und Strick, von ihrer Herde weg. Sie läuft nur „weg“ oder bleibt stehen, wenn sie etwas Interessantes entdeckt hat, dass sie näher erkunden (oder fressen^^) möchte, kommt aber immer von sich aus zu mir zurück. Wenn sie ab und an doch nochmal ihre dominante Seite raushängen lässt, braucht es nur ein oder zwei kleine Übungen, um sie davon zu überzeugen, dass immer noch ich diejenige bin, die von uns beiden mehr zu sagen habe.
Und das alles ohne Gewalt und großartige Hilfsmittel, sondern lediglich durch den Aufbau von Vertrauen und Respekt.
Dadurch dass Bella aber von Geburt an eine Fehlstellung mitbringt, war es mir von Anfang an wichtig, sie eben nicht einfach drauf los latschen zu lassen. Ich möchte sie richtig gymnastizieren. Ich möchte sie nicht durch meine Reiterei belasten, sondern ihr helfen gesund zu laufen und sich selbst und mich richtig tragen zu können. Und genau das ist es, was die klassische Dressurausbildung kann. Als ich angefangen habe mich in das Thema einzulesen und mich näher mit der Ausbildung in der klassischen Dressur zu beschäftigen, tat sich mir auf einmal eine Tür zu einer ganz anderen Welt auf. Eine Welt, die nichts mit Rollkuhr und gestressten, Schmerzen leidenden Tieren zu tun hat. Das Ziel der Dressur ist es, das Pferd so zu trainieren, dass es möglichst gesund und seiner Natur entsprechend geritten werden kann. Erst in diesem Zusammenhang habe ich auch die Bedeutung der viel beschworenen Skala der Ausbildung verstanden und kann sie so nun endlich für uns anwenden.
In der Kombination der beiden anscheinend so verschiedenen und doch gar nicht so unterschiedlichen Arbeitsweisen mit den Pferden, sehe ich die Chance meinem Pferd gleich in zwei wichtigen Bereichen einen gesunden pferdegerechten Umgang bieten zu können: psychisch und physisch. Ich möchte, dass mein Pferd gerne mit mir arbeitet und mich als seinen Partner akzeptiert und dabei fit, stark und gesund bleibt.
PS: Ein wichtiger Punkt ist mir bei der theoretischen Beschäftigung mit der Dressur klar geworden: Nicht nur mein Pferd, sondern vor allem ich muss mich reiterlich weiterentwickeln und ausbilden. Nur so, kann ich ihr helfen all diese Dinge zu lernen. Aus diesem Grund habe ich auch begonnen, das erste Mal in meinem Leben regelmäßig Reitunterricht zu nehmen. Aktuell drehe ich noch auf Schulpferden meine Runden, bald werde ich aber Bella mitnehmen, damit wir zusammen weiter lernen können :)